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Aus dem Gleichgewicht – Kolumne von Gery Seidl

Gery Seidl

„Foxconn baut um fünf Milliarden Dollar Werke in Indien, da diese billiger produzieren als China.“ Eine Schlagzeile. Gut. Und weiter? Wie hat Bayern München gespielt?

Nein! Ich schreibe eben auf einem Apple. Neben mir liegt mein iPhone 6 und daneben das meiner Frau. Ich bin also ein Teil von dem Spiel. Die bauen wegen mir ein Werk. Aber das ist doch nicht notwendig. Ich habe ja schon alles.

Ich überlege was ich mit Foxconn in Verbindung bringe und mir fällt Suizid ein. MitarbeiterInnen stürzen sich aus dem Fenster, weil die Arbeitsbedingungen so unmenschlich sind. Nicht nur, dem Menschen nicht angenehm, sondern unmenschlich. Wo sie es MIR doch so angenehm machen. Alles synchronisiert sich automatisch. Mein Management kann mir meine Termine in meinem Kalender eintragen und mein Techniker kann sie lesen. Angenehm. Dankeschön.

„Weil der Mensch ständig höher-weiter-schneller will und dadurch immer verbissener an dem Ast sägt, auf dem er selbst sitzt.“

 

Warum schafft es der Mensch nicht, dass es allen gut gehen kann? Ich weiß, der Gedanke ist naiv, doch solange mir keiner eine schlüssige Antwort geben kann, die auch menschlich vertretbar ist, solange ist meine Frage legitim. Man sagt: „Die Nachfrage steuert den Markt. Wir brauchen Wachstum, damit die Wirtschaft lebt…“ Weil der Mensch ständig höher-weiter-schneller will und dadurch immer verbissener an dem Ast sägt, auf dem er selbst sitzt.

Glauben wir tatsächlich, dass es schlau ist, die heimischen Bauern in Paraguay mit Flammenwerfern von ihren Feldern zu treiben um dort Gensoja anzubauen, welches wir unseren Kühen zu fressen geben, damit sie nicht vier, sondern 40 Liter Milch pro Tag liefern? Das jedoch nicht 20 Jahre, sondern nur mehr maximal fünf. Das soll schlau sein? Nein! Das ist wirtschaftliches Denken. Der Paprika aus Israel kann nur billiger sein, weil wir seinen Transport fördern, sonst müsste er 60 Euro kosten. Warum macht man das? Weil es gut ist?

„Geht´s der Wirtschaft gut, geht´s uns allen gut.“ Ein Slogan der WKO, der für mich mehr als fragwürdig erscheint. Vielleicht sollte die WKO einmal definieren was sie unter „gut“ versteht. Meinen sie den kleinen Greissler, der regionale Produkte von Biobauern zu fairen Preisen in seinem Laden anbieten kann oder meinen sie Geheimverhandlungen mit Monsanto, die das Patent auf Trinkwasser erwerben wollen? Was sie noch alles wollen, würde bei weitem den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Von welcher Wirtschaft reden wir? Mich schockiert übrigens nicht das Ansinnen von Monsanto. Größenwahnsinnige gab es in der Geschichte der Menschheit schon genug. Mich schockieren Entsandte aus der Wirtschaft, die an diesen Verhandlungen teilnehmen und die demokratisch gewählte Regierung gibt Deckung. Da erhängt sich mein Hausverstand. Das hebelt alles aus, was man mir über Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Fairness und andere offensichtliche Fremdwörter gelernt hat. Da ist etwas aus dem Gleichgewicht!

„Den König kannst du nicht spielen. Den König spielen die Anderen. Wenn man sich nicht vor deinem Thron verneigt, bist du kein König.“

Mein Schauspiellehrer hat uns einmal auf die Frage: „Wie man denn einen König spielt?“ geantwortet: „Gar nicht. Den König kannst du nicht spielen. Den König spielen die Anderen. Wenn man sich nicht vor deinem Thron verneigt, bist du kein König.“ So frage ich mich, warum wir in unserer Demokratie immer wieder Könige züchten? Warum die „Gleicheren“ in unserem System uns immer wieder in die Suppe spucken? Sie mühelos Gesetze außer Kraft setzen, über die sie vielleicht einmal selber stolpern könnten. Die, für die immer die Unschuldsvermutung gilt. Galt es nicht einst dem Volke zu dienen? Entschuldigen sie, meine Blauäugigkeit hat mich wieder einmal von wirtschaftlichen Gedanken abgelenkt.

Unsere Gesellschaft ist getrieben vom Nasdag. Vom ATX. Vom Dax. Wer ist der DAX? Der Freund vom Marder, der meine Kabel frisst im Auto? Es treiben uns Prognosen, Statistiken, Fakten und Zahlen. Wir arbeiten nach vorstrukturierten Abläufen unter vorgegebenen Stundenzeiten. Alles ist messbar. Mein Iphone sagt mir, wann ich mit wem wie lange telefoniert habe. Wie lange mein Weg von A nach B dauert. Ich habe Gesprächsguthaben und Datenvolumen, die ich verbrauchen darf. Am Ende des Monats aufgelistet und abgebucht.

Doch eines hat der Mensch noch nicht geschafft. Noch können wir unser Glück nicht messen. Es ist nicht messbar, wie es einer Mutter geht, wenn ihr Kind ihr zum ersten Mal in die Arme läuft. Oder kennen sie eine Tabelle, in der ich finde: „Kind in die Arme laufen – 217 Glück“? Nein, das gibt es nicht.
Ein Sonnenuntergang am Berggipfel mit dem richtigen Menschen neben dir. Ein Arbeitstag in der richtigen Firma. Ein weiches Ei vom glücklichen Huhn. Ein Dankeschön von der Nachbarin, wenn du ihr die Tasche in den zweiten Stock getragen hast. Beethovens Neunte. Endlos kann man diese Liste fortsetzen.

Wenn es keine Menschen mehr gibt. die aus ihrer Heimat fliehen müssen, weil sich wieder eine Religion anmaßt Andersdenkende zu verfolgen und gegebenenfalls zu töten oder eine Regierung abseits der Menschenrechte wütet. Wenn jeder Mensch das darf, wozu er bestimmt ist, einfach zu leben, dann sind wir am richtigen Weg.
Wenn wir DIESE Werte wieder finden, kann uns nichts passieren. Wir werden wieder lernen die richtigen Fragen zu stellen und nicht ruhen, bis wir eine schlüssige Antwort erhalten. Unsere Gesellschaft kommt wieder ins Gleichgewicht. Ich schließe meine Mac Air und sage ganz leise: „Bitte.Danke.“

Foto/Video: Gary Milano.

Geschrieben von Gery Seidl

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