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EU-CSRD-Richtlinie: Unternehmen, Gemeinde und Hochschule fordern Verbesserungen

Die Gemeinwohl-Ökonomie antwortete auf die Einladung des Bundesministeriums für Justiz um Stellungnahme zum Vorschlag der EU-Kommission für die Revision der Richtlinie über nicht-finanzielle Berichterstattung (CSRD). Eine breite Allianz aus 86 Unternehmen, 3 Gemeinden und der FH Burgenland äußert umfassende Kritik am Entwurf der Richtlinie und fordert einen Vorausgang Österreichs. Alle Unternehmen sollten berichtspflichtig sein, die Berichte vergleichbar sein, extern auditiert werden und Unternehmen mit guten Nachhaltigkeitsleistungen durch rechtliche Anreize besser gestellt werden.

Ein breites und wachsendes Bündnis aus Unternehmen, Gemeinden und Bildungseinrichtungen ging diese Woche in Wien gemeinsam an die Öffentlichkeit, um eine deutliche Verbesserung der EU-Richtlinie über nicht-finanzielle Berichterstattung einzufordern. Das Bundesministerium für Justiz hatte am 23. April die interessierten Parteien eingeladen, ihre „Anmerkungen“ zum Entwurf der EU-Kommission zu übermitteln. Diese Frist endete am 15. Juni. Die GWÖ-Bewegung begrüßt grundsätzlich die Weiterent-wicklung der aktuellen NFRD zur Corporate Sustainability Reporting Directive, sieht aber weiterhin eine ganze Reihe von Schwachstellen, die entweder noch im weiteren EU-Gesetzgebungsverfahren oder durch eine ambitionierte Umsetzung in Österreich behoben werden könnten – durch einen Vorausgang Österreichs. 

Hier sind die 6 Verbesserungsvorschläge der Gemeinwohl-Ökonomie:

  1. Die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sollte auf alle Unternehmen, die auch der finanziellen Berichtspflicht unterliegen, ausgeweitet werden.
  2. Soziale und ökologische Standards sollten direkt von den Gesetzgebern oder alternativ von einem Multi-Stakeholder-Gremium definiert und festgelegt werden, unter Heranziehung der ambitioniertesten Berichtsrahmenwerke. 
  3. Die Gemeinwohl-Bilanz ist ein nach wissenschaftlichen Kriterien vorbildlicher Nachhaltigkeitsbericht-Standard, der in die EU-Richtlinie und jedenfalls in das österreichische Umsetzungsgesetz einfließen sollte
  4. Nachhaltigkeitsberichterstattung soll zu quantifizierten und vergleichbaren Ergebnissen führen, die sichtbar auf Produkten, Websites und im Firmenregister aufscheinen, damit Konsument*innen, Investor*innen und die allgemeine Öffentlichkeit sich ein ganzheitliches Bild von Unternehmen machen und informierte Entscheidungen treffen können. 
  5. Die Inhalte von Nachhaltigkeitsberichten sollen – gleich wie die Finanzberichte – extern auditiert und mit dem Prüfvermerk „hinreichende Sicherheit“ (reasonable assurance) versehen werden.
  6. Die Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen soll an rechtliche Anreize geknüpft werden, um die Marktkräfte zur Förderung gesellschaftlicher Werte zu nützen und verantwortlichen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, z. B. über öffentliche Beschaffung, Wirtschaftsförderung oder Steuern.

v.l.n.r.: Bgm. Rainer Handlfinger, Astrid Luger, Christian Felber, Manuela Raidl-Zeller, Erich Lux, Amelie Cserer

Die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung übermittelte fristgerecht am 15. Juni die von 86 Unternehmen, 3 Gemeinden, 1 Hochschule und 10 prominenten Privatpersonen unterzeichnete Stellungnahme an das Justizministerium.

Ulrike Guérot, die Leiterin des Departments für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau-Universität Krems, in ihrer Rolle als Botschafterin der Gemeinwohl-Ökonomie: „Die EU muss sich in Zukunft stärker am Gemeinwohl – also an der Bereitstellung europäischer öffentlicher Güter als „res publica“ – ausrichten. Die CSRD kann dazu einen Beitrag leisten, sie muss aber noch deutlich verbessert und in Europa auf Basis der Stärken der Gemeinwohl-Ökonomie umgesetzt werden.“

Christian Felber, GWÖ-Initiator: Die CSRD ist „top down“ das, was wir als Gemeinwohl-Bilanz „bottom-up“ seit 10 Jahren entwickeln, nur viel grundlegender, systematischer, kohärenter (auf Basis von Verfassungswerten) und erfolgreicher (bald 1.000 Organisationen tun es freiwillig). Der schwache Start der NFRD wird im nun vorgelegten Entwurf der Kommission für die CSRD nur teilweise zurückgenommen. Wieder ist nur ein kleiner Kreis betroffen, es bleibt unklar, ob die Berichtsergebnisse quantifiziert und vergleichbar sein werden, ob es zu einem externen Audit kommt, und gesetzliche Anreize spricht der Vorschlag der EU-Kommission nicht einmal an. Österreich könnte mit einem Vorausgang in Gestalt der Erfüllung dieser Anforderungen seinen Ruf als Umweltvorreiter erneuern.“

Erich Lux, geschäftsführender Gesellschafter der Luxbau GmbH in Hainfeld/NÖ: „Schalten wir gedanklich um – sehen wir die Pflicht zur Nachhaltigkeit-Berichterstattung als Chance, unsere eigene Zukunft und die unseres Lebensraumes aktiv und verantwortungsvoll zu gestalten, und verbinden wir somit, was ohnehin zusammengehört – gemeinwohlorientierte, sinnerfüllte (Bau-)Wirtschaft und gutes Leben! Aufgrund ihrer vielfältigen sensiblen sozialen und ökologischen Wirkungen sollte die Baubranche nicht von der Berichtspflicht ausgenommen werden.“

Rainer Handlfinger, Bürgermeister der Gemeinde Ober-Grafenforf/NÖ und Obmann des Klimabündnis Österreich, kritisiert das Fehlen umfassender und ambitionierter sozialer Standards im Entwurf der EU-Kommission sowie den vorgeschlagenen Entwicklungsprozess konkreter Nachhaltigkeitsstandards. „Diese Standards sind keine technischen Details, sondern ethische Grundsatzfragen, die direkt vom Parlament verhandelt und definiert werden sollten. Alternativ könnte statt der von der Kommission bevorzugten EFRAG (European Financial Reporting Advisory Group) eine ESRAG (European Sustainability Reporting Advisory Group) eingerichtet werden, an der die Entwickler*innen der ambitioniertesten Rahmenwerke wie z.B. die Gemeinwohl-Ökonomie eingebunden werden.“

Amelie Cserer, Leiterin des Masterlehrgangs „Angewandte Gemeinwohl-Ökonomie“ an der FH Burgenland: „Die FH Burgenland praktiziert die Gemeinwohl-Bilanz, weil sie ein systematischer Nachhaltigkeits-Berichtsstandard ist, der aus einem ganzheitlichen Wirtschaftsmodell entspringt. Gemeinwohl-Ökonomie blickt über den Tellerrand: Grenzenlos in Weiterbildung! Unser Beitrag zur nachhaltigen Transformation, der Masterlehrgang „Angewandte Gemeinwohl-Ökonomie“ bietet Know-how auf akademischem Niveau für realitätsnahe Umsetzung.“

Manuela Raidl-Zeller, Geschäftsführerin bei Sonnentor in Sprögnitz/NÖ: „Bereits seit 2010 ist SONNENTOR Pionierunternehmen der Gemeinwohl-Ökonomie. Mit der Gemeinwohl-Bilanz machen wir all unsere Bemühungen in Sachen Nachhaltigkeit messbar und mit anderen Unternehmen vergleichbar. Die erste Bilanz war ein Meilenstein im Vorleben von Transparenz. 10 Jahre später wissen wir, dass es die richtige Entscheidung war. Unsere Fans und Partner*innen haben uns ihr Vertrauen geschenkt, weil sie wissen, dass ein unabhängiges Audit die Basis ist.“

Astrid Luger, Geschäftsführerin bei CULUMNATURA: „Es ist ethisch widersinnig und ökonomisch kontraproduktiv, dass viele Unternehmen heute immer noch einen Kostenvorteil genießen, weil sie für die zahlreichen sozialen und ökologischen Schäden, die sie anrichten, die jedoch noch legal sind, nicht zahlen. Um diesen Systemfehler der Marktwirtschaft zu beheben, müssen gute Nachhaltigkeitsleistungen durch Anreize belohnt und negative Beiträge durch negative Anreize sanktioniert werden. Solange, bis die klimafreundlichsten, menschenwürdigsten und sozial verantwortlichsten Produkte und Dienstleistungen auf den Märkten preisgünstiger sind.“

Informationen:

Über die Gemeinwohl-Ökonomie
Die weltweit agierende Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung nahm 2010 in Wien ihren Anfang und basiert auf den Ideen des österreichischen Publizisten Christian Felber. Die GWÖ versteht sich als Wegbereiterin für eine gesellschaftliche Veränderung in Richtung eines verantwortungsbewussten, kooperativen Miteinanders im Rahmen eines ethischen Wirtschaftens. Erfolg wird nicht primär an finanziellen Kennzahlen gemessen, sondern mit dem Gemeinwohl-Produkt für eine Volkswirtschaft, mit der Gemeinwohl-Bilanz für Unternehmen und mit der Gemeinwohl-Prüfung für Investitionen. Aktuell umfasst die GWÖ weltweit rund 11.000 Unterstützer*innen, 5.000 Aktive in 200 Regionalgruppen, etwa 800 bilanzierte Unternehmen und andere Organisationen, über 60 Gemeinden und Städte sowie 200 Hochschulen weltweit, die die Vision der Gemeinwohl-Ökonomie verbreiten, umsetzen und weiterentwickeln. An der Universität Valencia wurde 2017 ein GWÖ-Lehrstuhl eingerichtet, in Österreich brachte die Genossenschaft für Gemeinwohl 2019 ein Gemeinwohlkonto auf den Markt, und im Herbst 2020 wurden im Kreis Höxter (DE) die drei ersten Städte gemeinwohlbilanziert. Seit Ende 2018 gibt es den Internationalen GWÖ-Verband mit Sitz in Hamburg. Der EU-Wirtschafts- und Sozialausschuss nahm 2015 eine eigeninitiierte Stellungnahme zur GWÖ mit 86 Prozent Stimmenmehrheit an und empfahl ihre Umsetzung in der EU. 

Rückfragen gerne an: austria@ecogood.org. Weitere Infos finden Sie auf www.ecogood.org/austria

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Geschrieben von ecogood

Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) wurde 2010 in Österreich gegründet und ist mittlerweile in 14 Staaten institutionell vertreten. Sie sieht sich als Wegbereiterin für eine gesellschaftliche Veränderung in Richtung eines verantwortungs­­­bewussten, kooperativen Miteinanders.

Sie ermöglicht ...

… Unternehmen, alle Bereiche ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels Werte der Gemeinwohl-Matrix durchzusehen, um gemeinwohl-orientiertes Handeln aufzuzeigen und gleichzeitig eine gute Basis für strategische Entscheidungen zu gewinnen. Die „Gemeinwohl-Bilanz“ ist ein wichtiges Signal für Kund*innen und auch für Jobsuchende, die davon ausgehen können, dass der Finanzgewinn bei diesen Unternehmen nicht an oberster Stelle steht.

… Gemeinden, Städten, Regionen zu Gemeinwohl-Orten zu werden, wo Unternehmen, Bildungseinrichtungen, Kommunalbetriebe einen fördernden Fokus auf die Regional­entwicklung und ihre Bewohner*innen legen können.

… Forschenden die Weiterentwicklung der GWÖ auf wissenschaftlicher Basis. An der Universität Valencia gibt es einen GWÖ-Lehrstuhl und in Österreich einen Masterlehrgang "Angewandte Gemeinwohl-Ökonomie". Neben zahlreichen Masterarbeiten gibt es aktuell drei Studien. D.h. das Wirtschaftsmodell der GWÖ hat die Kraft, die Gesellschaft nachhaltig zu verändern.

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