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Fair Fashion – Verkleidete Tatsachen

Fair Fashion – Verkleidete Tatsachen

Jasmin Schister lebt seit fast zehn Jahren vegan. Ihren Körper schmückt die muso-koroni-Shopinhaberin mit Kleidung aus rein pflanzlichen Stoffen. Vegan heißt nicht automatisch biologisch. Biologisch heißt nicht automatisch unter fairen, umweltschonenden Arbeitsbedingungen produziert. Fair, biologisch und vegan heißt nicht automatisch aus der Region. Ja, Fair Fashion ist schwer auszumachen.

Um vegane, faire, pflanzengefärbte, biologische Kleidung mit kurzen Transportwegen für sich und ihren Laden in Wien zu bekommen, musste Jasmin Schister viele Fragen stellen. Dabei stellte sie fest, dass die Mehrheit der Verkäufer der großen und kleinen Modeketten über Herkunft und Herstellung der angebotenen Kleidung nicht informiert sind. „Sie sind die Erste, die solche Fragen stellt“, bekam sie zu hören. Gerade das Wort „bio“ sei ein beliebter, aber kein geschützter Begriff, um auf Kundenfang zu gehen. Schister erlebte in einem Yoga-Shop, dass ihr die Verkäuferin ein biologisches Kleidungsstück anbieten wollte, das keines war. Erst nach dreimaligem Nachfragen und einem Blick auf das Innenetikett, auf dem weder ein unabhängiges Gütesiegel noch Biobaumwolle zu lesen war, konnte sie sich vom Irrtum der Verkäuferin überzeugen.
Eine Momentaufnahme auf Wiens Mariahilfer Straße bestätigt Jasmin Schisters Erfahrungen. „Nach biologischen Produkten fragen die Kunden nicht“, meint eine Palmers-Verkäuferin. Sie kramt ein weißes Unterleibchen aus Biobaumwolle aus einer Lade: „Das ist das Einzige, was wir hier an Biobaumwolle haben.“ Ein Gütesiegel ist auf dem Unterleibchen nicht zu finden. Mit Fair Fashion kann das also nichts zu tun haben.

Gütesiegel und Formulierungen

„Ist das nicht das Biozeichen?“, fragt eine H&M-Verkäuferin und zeigt auf das grüne Etikett, das auf einem „Made in Bangladesh“-Shirt der Conscious-Kollektion befestigt ist. Sie holt Verstärkung. Drei Verkäuferinnen untersuchen das T-Shirt. Sie zeigen auf die Papierzertifizierung am Etikett und die weiß umkreiste Wortgruppe „Organic Cotton“, die auf die Innenseite des Leibchens gedruckt ist. „Da steht’s doch! Biobaumwolle! Ist es das?“, fragt die zweite Verkäuferin. Die dritte gesteht: „Wir wurden auf das nicht geschult.“
Die drei wichtigsten, unabhängigen Gütesiegel bei Fair Fashion seien für Jasmin Schister Fairtrade, GOTS und Fair Wear. Wobei jedes Siegel einen anderen Bereich in der Produktionskette begleitet. Die drei gemeinnützigen Organisationen, die die Siegel vergeben, gelten in der Fair Fashion-Szene als engagiert. Doch auch hier sollte der Konsument hinter die geschickten Formulierungen der Marketingabteilungen blicken.

Fair Fashion: „100 Prozent fair ist unrealistisch“

Fair Fashion: Preisaufschlüsselung eines T-Shirts
Fair Fashion: Preisaufschlüsselung eines T-Shirts

„Es ist unrealistisch ein Kleidungsstück als 100 Prozent Fair Fashion zu bezeichnen. Internationale Lieferketten sind komplex und lang. Zu versichern, dass jeder in der Zulieferkette gut behandelt wird, ist unrealistisch“, schreibt Lotte Schuurman, Pressesprecherin der Fair Wear Foundation, die sich für faire Arbeitsbedingungen der Näherinnen einsetzt, in einer Stellungnahme an Option. Auch bei Fairtrade, das sich für die Rechte der Plantagenarbeiter und Bauern einsetzt, ist Kinderarbeit unter 15 Jahren auf den Farmen der Eltern erlaubt, „wenn der Unterricht dadurch nicht beeinträchtigt wird, sie dabei nicht ausgenützt oder überanstrengt werden, sie keine gefährlichen Tätigkeiten übernehmen müssen, und das nur unter der Aufsicht der Eltern“, erklärt der Pressesprecher von Fairtrade Österreich, Bernhard Moser, über Fair Fashion auf. „Details zu der Entfernung von Schule und Wohnsitz, Zeitbedarf für Hausübungen, spielen und schlafen sowie der konkrete Stundenplan variieren naturgemäß je nach Land, Region und dörflicher Gemeinschaft“, ergänzt Moser.
Die NGOs sehen ihre Aufgabe stark in der Begleitung der weltweiten Mitglieder und der Betreibung von Aufklärungsarbeit und Schulungen. „Mitgliedern wird die Möglichkeit gegeben, Verbesserungen vorzunehmen. Nachhaltige Veränderungen passieren nicht über Nacht“, erklärt Lotte Schuurman. Fair Fashion ist also schneller gesagt, als umgesetzt.

Viele Länder – ein Kleidungsstück

Keine Transparenz, woher das „We love Bio Cotton“-T-Shirt kommt, hat der Kunde bei C&A. Das bekannte „Made in …“-Etikett fehlt. „Das wird überall auf der Welt produziert“, sagt die C&A-Verkäuferin, „das machen alle so.“
Die Presseabteilung von C&A begründet die fehlende Kennzeichnung des Herstellungslandes folgendermaßen: Zum einen gebe es keine eigenen Fertigungsstätten, sondern 800 Lieferanten und 3.500 Sublieferanten weltweit. An einem Kleidungsstück seien häufig unterschiedliche Länder beteiligt, was eine Kennzeichnung „naturgemäß schwierig“ mache. Zweitens könnten Kennzeichnungen dazu führen, dass der Verkauf von entsprechenden Produkten aus den unterschiedlichsten Ursachen diskriminiert wird.
Ziel sei es, Entwicklungsländern mit ihren Produkten Zugang zu den westlichen Märkten zu ermöglichen. Eine Verpflichtung zur Kennzeichnung der jeweiligen Herstellungsländer besteht in der EU nicht.

Fair Fashion: Die Realität dieser Welt

Die Textilindustrie setzt auf Chemie. Pestizide, Bleichmittel, Farbstoffe, Schwermetalle, Weichmacher, Seifen, Öle und Laugen werden auf Feldern und in den Fabriken eingesetzt. Schadstoffe an den Textilien und Umweltbelastungen wie die Verseuchung des Bodens und des Grundwassers sowie den hohen Wasserverbrauch sieht der Konsument nicht. Er sieht nicht die Menschen, die unter Gefährdung ihrer Gesundheit und ungerecht entlohnt sein Kleidungsstück produzieren. Er sieht nicht die weggeworfenen Stoffreste der Fertigungsstätten und die Ressourcenverschwendung.
„Auch C&A wird im Rahmen seines weltweiten Einkaufs von Textilien immer wieder mit Zuständen konfrontiert, die nicht zu akzeptieren sind. Das ist leider die Realität dieser Welt, (…)”, schreibt Lars Boelke, Pressesprecher bei C&A.

Sportmode als Fair Fashion: Hanf, Bambus & Co

„Das wirksamste Argument ist die Chemie“, sagt Kerstin Tuder, Inhaberin der Ecolodge, dem ersten österreichischen Onlineshop von fairer und biologisch produzierter Sportmode, also auch Fair Fashion. „Unsere Haut ist unser größtes Organ. Wenn wir schwitzen, nehmen wir alle Schadstoffe in uns auf.“ Fair Fashion aus Bambusfaser, Hanf oder Tencel seien in Bezug auf Tragekomfort beim Sport geeigneter als Baumwolle. Tencel wird von der österreichischen Firma Lenzing aus gekauftem Zellstoff in Österreich gewonnen. Hergestellt und verkauft wird der Zellstoff von Zellstoffwerken in Südafrika, die ihn wiederum aus Eukalyptusholz von Eukalyptusfarmen herstellen. Neben Sportkleidung bietet die Ecolodge, die ihren Showroom in Kilb (NÖ) Freitag geöffnet hat, auch Schmuck von österreichischen Designern und Sportartikel wie Snowboards aus recyceltem Material an. Was es in nachhaltiger Form nicht gibt, sind Sportschuhe, Bikinis und Badeanzüge. „Es gibt keinen Schuh, der 100-prozentig nachhaltig ist. Wir suchen schon lange“, erzählt Kerstin Tuder.

Weitertragen schont Ressourcen

Laut einer Veröffentlichung der Umweltschutzorganisation Global 2000 auf der Plattform www.reduse.org kauft ein Österreicher ca. 19 Kleidungsstücke pro Jahr.„Unsere Kleidung wird zweimal länger getragen, als wir sie selbst tragen“, meint Henning Mörch, Kassier bei Humana, dem Verein für Entwicklungszusammenarbeit. Er schätzt, dass 25.000 bis 40.000 Tonnen Kleidung jährlich österreichweit von Humana gesammelt werden. Die Kleidung wird nach der Sammlung aus Kostengründen nach Osteuropa transportiert und in dortigen Sortierwerken geordnet. Bis zu 70 Prozent werden als „tragbare Kleidung“ wieder zurück nach Österreich bzw. nach Afrika gebracht und dort zu Marktpreisen verkauft. „Nur beim Weitertragen schonen wir Ressourcen“, sagt Mörch. Fünf Milliarden von sieben Milliarden Menschen seien angewiesen auf Secondhand.
Socken sind in Secondhandläden gewöhnlich nicht erhältlich. Die Designerin Anita Steinwidder bezieht aussortierte Socken von Betrieben wie der Volkshilfe und kreiert daraus Röcke und Hosen für ihre Kollektion. Genäht wird mit zwei Näherinnen in einer Werkstatt in Wien. Alttextilien sind oft gewaschen und daher wesentlich gesünder als neue Kleidung“, sagt Steinwidder. Ein Ecolabel wollte sie nicht gründen. Die Designerin findet vor allem die Sozialaspekte an Kleidung spannend. Denn im Prinzip seien es nur „Fetzen.“

Durch Upcycling zu Fair Fashion

Wie vielseitig und kreativ Wiederverwertung sein kann, zeigt sich im All-Upcycled-Geschäft von Rita Jelinek. Hier finden sich Taschen aus alten Saftpackerln, Armbänder aus Dosenverschlüssen oder Ketten aus türkischem Treibholz. „Es ist wahrscheinlich die umweltfreundlichste Art, sich zu kleiden“, meint Jelinek. Es werden Materialien aufgewertet, die sonst im Müll gelandet wären. Unter den internationalen Designern aus Kambodscha, Finnland und Polen, die u. a. mit Stoffresten aus der Textilindustrie arbeiten, finden sich auch österreichische Labels im Shop wie Milch, das alte Herrenanzüge von der Volkshilfe bezieht und daraus Blusen und Kleider kreiert. „Was es vorher war, weiß der liebe Gott“, scherzt Rita Jelinek mit Blick auf ihr Sortiment.

Fair Fashion bedeutet achtsamen Konsum

Im deutschsprachigen Raum wurde von Schülern des buddhistischen Zen-Meisters Thich Nhat Hanh das Netzwerk Achtsame Wirtschaft ins Leben gerufen. Der Grundgedanke ist, dass alle Menschen Teil der Wirtschaft sind und sie demnach gemeinsam durch Bewusstheit den Alltag positiv verändern können.
Unser Konsum sei häufig sehr oberflächlich. Wir kaufen Dinge, die schon bald leblos in Schränken hängen oder in Regalen verstauben, ohne uns Nutzen zu schenken. Achtsam zu konsumieren bedeute, eine sinnvolle und dauerhafte Beziehung zu den Dingen aufzubauen, die wir in unser Leben lassen.

Was, wie, warum und wie viel?

Der Intitiator des Netzwerks Achtsame Wirtschaft, Kai Romhardt, rät vor einem Kauf innezuhalten und sich vier Fragen zu stellen. „Die erste Frage ist die nach dem Objekt. Was möchte ich kaufen? Was ist das für ein Produkt? Ist es gesund für mich und die Umwelt?“, sagt der Buddhist. Die zweite Frage sei die nach dem eigenen Geisteszustand. Es sei wichtig, darauf zu achten, wie es einem im Moment der Kaufabsicht geht. Innezuhalten helfe, Verhaltensmuster zu erkennen.
„Die dritte Frage ist die nach dem Warum“, erklärt Romhardt. „Was treibt mich an? Fühle ich mich attraktiver, wenn ich dieses Kleidungsstück kaufe? Habe ich etwa Angst, nicht dazuzugehören?“ Die letzte Frage sei die nach dem Maß. Haben wir uns für einen Kauf entschieden, rät Kai Romhardt, das Kleidungsstück achtsam zu tragen. Trennen wir uns von einem Kleidungsstück, sollen wir dies auch bewusst und achtsam tun. Also ab damit in die Kleidersammlung. Auch das gehört zum Gedanken von Fair Fashion dazu.

Foto/Video: Shutterstock, Faitware Foundation.

Geschrieben von k.fuehrer

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