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In schwierigen Höhen – Kolumne von Mira Kolenc

Mira Kolenc

Dr. William Masters: „Ihr Höhepunkt dauerte meinen Messungen nach neun Sekunden.“
Prostituierte: „Der war vorgetäuscht.“
WM: „Sie hatten gar keinen Orgasmus?“
P: „Ist das jetzt Ihr Ernst?“
WM: „Ja, natürlich. Sie haben so getan, als hätten Sie einen Orgasmus? Ist das eine übliche Handlungsweise bei Prostituierten?“
P: „Das ist eine übliche Handlungsweise bei allen Menschen mit ‘ner Möse. Frauen täuschen Orgasmen vor, ich würde sagen, fast alle.“
WM: „Aber warum sollte denn eine Frau in einer solchen Angelegenheit lügen?“
Dieser Dialog steht am Beginn der Serie „Masters of Sex“ über die beiden US-amerikanischen Wissenschaftler William Masters und Virginia Johnson, die in den 1950er und 1960er-Jahren mit ihrer Feldforschung über das menschliche Sexualverhalten Pionierarbeit leisteten.

Die Frage, warum eine Frau in „dieser Angelegenheit“ denn lügen sollte, war im prüden Amerika der 50er Jahren keine, die offen gestellt werden konnte. Grundsätzlich war Sexualität etwas, das hinter verschlossenen Türen stattzufinden hatte und weniger Vergnügen als eheliche Pflicht war. Der gesellschaftliche Rahmen, die Ehe zwischen Mann und Frau, hatte nicht selten Alibifunktion, die erst andere Freiheiten ermöglichte. Eine Gesellschaft, die ganz selbstverständlich eine Doppelmoral lebte, war die Folge. In Europa sah es nicht anders aus.
Außer- oder vorehelicher Sex waren sozial nicht akzeptiert, diese Ächtung betraf aber vor allem Frauen, sollte es denn zu einem Fehltritt gekommen sein. Die Männer hingegen konnten zumeist ungestraft die Regeln brechen, so lange Ihr Sexualpartner nicht gleichgeschlechtlich war. Sexuelle Abnormität, zu der Homosexualität noch lange zählen sollte (auch Masters und Johnson gingen zunächst noch von einer heilbaren psychischen Störung aus), war einfach alles, das über den schlichten Zeugungsakt hinaus ging.

„Dass eine Frau für den Orgasmus den Mann nicht braucht bzw. sogar ohne ihn einen intensiveren Orgasmus erleben kann, ist eine unangenehme Wahrheit, die trotz sexueller Befreiung nicht an Brisanz eingebüßt hat.“

Die weibliche Lust spielte dabei lange keine bedeutende Rolle. Sie war für Ehefrauen im Grunde auch nicht vorgesehen. Die einzige Frau, die in diesem männerdominierten Universum Lust empfand (bzw. empfinden sollte und/oder durfte), war die Prostituierte. Mit ihr konnte eine andere Sexualität erlebt werden, die weniger von Tabus geprägt war.
Dass Sex aber tatsächlich zumeist weder für die Frau im ehelichen noch im gewerblichen Rahmen ein großes Vergnügen darstellte, war auch unter Ärzten und Wissenschaftlern kein Thema, dem man sich stellte bzw. zu stellen wagte.
Für Masters eröffnete sich im Gespräch mit der Prostituierten – er führte seine ersten Studien in einem Bordell durch – über das Geständnis vom vorgetäuschten Orgasmus demnach eine ganz neue Welt.
Johnson, zunächst nur seine Sekretärin mit erweitertem Aufgabenbereich, beantwortet Masters die Frage nach dem vorgetäuschten Orgasmus einmal sehr treffend: „Um einen Mann schneller zum Höhepunkt zu bringen, damit sie (die Frau) wieder machen kann, was sie lieber machen möchte.“ Bis heute vielleicht noch eine gültige Antwort, denn die „Orgasmus-Lüge“ ist weiterhin fester Bestandteil im Sexualleben einer Frau.

Masters und Johnson gingen davon aus, dass wenn eine Frau nicht allein durch die Stöße beim Geschlechtsverkehr zum Höhepunkt kommen kann, eine sexuelle Fehlfunktion vorliegen würde. Auch wenn viele dieser Frauen wiederum durch Masturbation den Höhepunkt ohne weiteres erreichen konnten. Die Sexualwissenschaftlerin Shere Hite dagegen ist heute der Ansicht, dass 70 Prozent der Frauen nicht durch den klassischen Geschlechtsverkehr zum Orgasmus kommen können. Es also eher die Regel als die Ausnahme ist.

Dass eine Frau für den Orgasmus den Mann nicht braucht bzw. sogar ohne ihn einen intensiveren Orgasmus erleben kann, ist eine unangenehme Wahrheit, die trotz sexueller Befreiung nicht an Brisanz eingebüßt hat. Vielleicht sogar eher im Gegenteil. Die vermeintliche Liberalität unserer Gegenwart hebt nicht automatisch die lang etablierten Klischeebilder und Fehlinformationen auf. Ein simultaner Orgasmus ist eine romantische Vorstellung, aber er ist nicht die Norm. Wir sollten uns endlich von dieser fixen Idee befreien.

Foto/Video: Oskar Schmidt.

Geschrieben von Mira Kolenc

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