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Klimafolgen des Ukraine-Kriegs: So viele Emissionen wie Niederlande

Geschätzte 100 Millionen Tonnen CO2e verursachte der Krieg in der Ukraine in den ersten sieben Monaten. Das ist so viel, wie beispielsweise die Niederlande im selben Zeitraum ausstoßen. Diese Zahlen präsentierte das ukrainische Umweltministerium bei einem „Side-Event“ zum Klimagipfel COP27 in Sharm el Sheik1. Die Studie wurde von dem niederländischen Experten für Klima- und Energieprojekte Lennard de Klerk initiiert, der lange Zeit in der Ukraine gelebt und gearbeitet hat. Er hat dort Klima- und Energieprojekte in der Schwerindustrie entwickelt, ebenso in Bulgarien und in Russland. An der Studie mitgearbeitet haben Vertreter:innen mehrerer internationaler Konsulentenfirmen für Klimaschutz und erneuerbare Energie und ein Vertreter des ukrainischen Umweltminsteriums2.

Untersucht wurden Emissionen auf Grund von Fluchtbewegungen, durch Kampfhandlungen, durch Brände und durch den Wiederaufbau ziviler Infrastruktur.

Flucht: 1,4 Millionen Tonnen CO2e

Die Studie nimmt zunächst die Fluchtbewegungen unter die Lupe, die der Krieg ausgelöst hat. Die Zahl der Menschen, die aus dem Kriegsgebiet in den Westen der Ukraine geflohen sind, wird auf 6,2 Millionen geschätzt, die Zahl der ins Ausland Geflohenen auf 7,7 Millionen. Auf Grund der Ausgangs- und Zielorte konnten die verwendeten Transportmittel geschätzt werden: Auto, Eisenbahn, Bus, Kurz- und Langstreckenflüge. Ungefähr 40 Prozent der Geflüchteten sind nach dem Abzug russischer Truppen wieder an ihren Heimatort zurückgekehrt. In Summe wird das Ausmaß der Verkehrsemissionen durch Flucht auf 1,4 Millionen Tonnen CO2e geschätzt.

Militärische Operationen: 8,9 Millionen Tonnen CO2e

Fossile Treibstoffe sind eine wesentliche Komponente für militärische Operationen. Sie werden gebraucht für Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, Flugzeuge, Transporter für Munition, Soldaten, Lebensmitteln und sonstigen Nachschub. Aber auch zivile Fahrzeuge wie Rettungs- und Löschfahrzeuge, Busse für Evakuierungen usw. verbrauchen Treibstoff. Derartige Daten sind auch in Friedenszeiten schwer zu bekommen, geschweige denn im Krieg. Der Verbrauch der russischen Armee wurde auf Grund von beobachteten Treibstofftransporten ins Kriegsgebiet auf 1,5 Millionen Tonnen geschätzt. Den Verbrauch der ukrainischen Armee berechneten die Autor:innen auf 0,5 Millionen Tonnen. Den Unterschied erklären sie damit, dass die ukrainische Armee kürzere Nachschubwege hat als die Angreifer, und dass sie generell leichtere Ausrüstung und Fahrzeuge benützt. Die insgesamt 2 Millionen Tonnen Treibstoff verursachten Emissionen von 6,37 Millionen Tonnen CO2e.

Auch der Gebrauch von Munition verursacht beträchtliche Emissionen: Bei der Erzeugung, beim Transport, bei der Verbrennung des Treibsatzes beim Abschuss und bei der Explosion des Geschosses beim Aufprall. Die Schätzungen über den Verbrauch von Artilleriegeschossen schwanken zwischen 5.000 und 60.000 pro Tag. Mehr als 90 % der Emissionen gehen auf die Erzeugung der Geschosse (Stahlmantels und Sprengstoff) zurück. Insgesamt werden die Emissionen durch Munition auf 1,2 Million Tonnen CO2e geschätzt.

Brände: 23,8 Millionen Tonnen CO2e

Satellitendaten zeigen, um wie viel Brände – verursacht durch Beschuss, Bombardierung und Minen – in den Kriegsgebieten gegenüber dem Vorjahr zugenommen haben: Die Anzahl der Brände mit einer Ausdehnung von mehr als 1 ha stieg auf das 122fache, die betroffene Fläche auf das 38fache. Den größten Anteil daran haben Waldbrände Die Emissionen durch Brände in den ersten sieben Monaten des Kriegs machen 23,8 Millionen Tonnen CO2e aus.

Wiederaufbau: 48,7 Millionen Tonnen CO2e

Den größten Teil der durch den Krieg verursachten Emissionen wird der Wiederaufbau der zerstörten zivilen Infrastruktur ausmachen. Ein Teil davon geschieht schon während des Krieges, doch zum größten Teil wird der Wiederaufbau erst nach dem Ende der Kampfhandlungen beginnen können. Vom Beginn des Krieges an haben die ukrainischen Behörden die Zerstörungen durch Kampfhandlungen dokumentiert. Die von verschiedenen Ministerien gesammelten Daten wurden von der Kyiv School of Economics in Zusammenarbeit mit einem Expertenteam der Weltbank zu einem Bericht verarbeitet.

Der größte Teil der Zerstörungen entfällt auf den Wohnungssektor (58 %). Bis 1. September 2022 wurden 6.153 städtische Wohnhäuser zerstört und 9.490 beschädigt. 65.847 Privathäuser wurden zerstört und 54.069 beschädigt. Die Wiederaufbau wird neue Gegebenheiten berücksichtigen: in Anbetracht der Bevölkerungsrückgangs werden nicht alle Wohneinheiten wiederhergestellt werden. Andererseits sind die Wohnungen aus der Sowjetzeit gemessen an heutigen Standards sehr klein. Neue Wohnungen werden vermutlich größer sein. Für die Berechnung der Emissionen wurden die derzeit gängige Baupraxis in Ost- und Mitteleuropa zugrunde gelegt. Die Erzeugung von Zement und Ziegeln ist ein und Ziegeln sind bedeutende Quellen von CO2-Emissionen Neue, weniger CO2-intensive Baumaterialien werden wohl verfügbar sein, doch durch das Ausmaß der Zerstörungen bedingt wird ein Großteil der Bautätigkeit nach heute gängigen Methoden erfolgen. Die Emissionen durch den Wiederaufbau von Wohneinheiten werden mit 28,4 Millionen Tonnen CO2e veranschlagt, der Wiederaufbau der gesamten zivilen Infrastruktur – Schulen, Spitäler, Kultur- und Sportstätten, religiöse Gebäude, Industrieanlagen, Geschäfte, Fahrzeuge – auf 48,7 Millionen Tonnen.

Methan aus Nordstream 1 und 2: 14,6 Millionen Tonnen CO2e

Zu den Emissionen aus Fluchtbewegungen, Kampfhandlungen, Bränden und Wiederaufbau zählen die Autor:innen noch das Methan, das bei der Sabotage der Nordstream Pipelines entwichen ist. Es ist zwar nicht bekannt, wer die Sabotage verübt hat, aber dass sie mit dem Ukraine-Krieg in Zusammenhang stehen, scheint ziemlich sicher. Das entwichene Methan entspricht 14,6 Millionen Tonnen CO2e.

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Titelfoto  von Luaks Johnns auf Pixabay

1 https://seors.unfccc.int/applications/seors/attachments/get_attachment?code=U2VUG9IVUZUOLJ3GOC6PKKERKXUO3DYJ , siehe auch: https://climateonline.net/2022/11/04/ukraine-cop27/

2 Klerk, Lennard de; Shmurak, Anatolii; Gassan-Zade, Olga; Shlapak, Mykola; Tomolyak, Kyryl; Korthuis, Adriaan (2022): Climate Damage Caused by Russia’s War in Ukraine: Ministry of Environmental Protection and Natural Resources of Ukraine. Online: https://climatefocus.com/wp-content/uploads/2022/11/ClimateDamageinUkraine.pdf

Geschrieben von Martin Auer

Martin Auer, geboren 1951 in Wien. Früher Schauspieler und Musiker, seit 1986 freier Schriftsteller. Diverse Auszeichnungen, u. a. Ernennung zum Professor 2005. Studium der Kultur- und Sozialanthropologie.
https://www.martinauer.net
https://blog.martinauer.net

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