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Neuer Luxus – Kolumne von Gery Seidl

Gery Seidl

Als 75er-Jahrgang fällt es mir oft schwer von neuem Luxus zu sprechen, da mir im Verhältnis zu so vielen anderen Erdlingen der Luxus bereits in die Wiege geschüttet wurde. Es ist sehr leicht den Satz falsch zu deuten, da man glauben könnte, ich sei in einem Palast mit goldenen Löffeln und Chauffeur groß geworden. Nein, das war es nicht, doch durfte ich eine unbeschwerte Kindheit erleben und mir diese Unbeschwertheit zum Großteil bis heute bewahren. Jene Sachen, die einem Tag von mir möglicherweise eine Schwere angedeihen ließen, sind oft hausgemacht oder relativieren sich in der Sekunde durch einen Blick über unsere Grenzen. So muß man beim „neuen Luxus“ sowohl neu als auch Luxus definieren.

Den Luxus der Unerreichbarkeit für meine Eltern und die meiner Freunde, wenn wir stundenlang in der Donauau an unseren Lagern gebaut haben, den wird ein Kind der späteren Generation so kaum noch erleben. Das Rauchen der ersten Lianen, welches immer mit Übelkeit geendet hat, war natürlich streng verboten und damit erst so richtig interessant. Mit fortschreitendem Alter kamen dann Mopedausflüge hinzu und die abendliche Deadline 23 Uhr zuhause konnte nur selten eingehalten werden. Wenn man Glück hatte und das Moped die letzten 100 Meter geschoben hat, konnte es passieren, der Mutter den eh schon seichten Schlaf nicht zu rauben und unerkannt ins Zimmer zu huschen.

„Wenn wir so mit unserer Freiheit umgehen, dann verliert sie den Wert. Genauso, wie der Luxus den Wert verliert.“

Ob der neue Luxus die Möglichkeit von beinahe jedem denkbaren und undenkbaren Platz in Europa mit dem Handy online auf Amazon ein Bekleidungspaket, welches dir ein Anderer für dich speziell zusammenstellt, zugesandt zu bekommen, mit dem Luxus den ich meine gleichzusetzen ist, weiß ich nicht. Meinen Pullover hatte ich nur, weil er meinem Bruder nicht mehr passte und für die Au ohnehin zu schön war. Eislaufschuhe kaufte man in der Tauschzentrale bei Frau Amon und Ski brachte das Christkind. Das ergab die Spannung und Vorfreude auf den Weihnachtsabend und es gab ihnen auch den Wert. Unsere Kleinbahn mit zwei Stromkreisen und Oberleitung hat mein Vater für uns in stundenlanger Kleinarbeit selber gelötet und auch in weiterer Folge mit uns gemeinsam ständig adaptiert und repariert.

So kann man offensichtlich „Zeit“ und „Freiheit“, natürlich neben Gesundheit, als den wahren Luxus bezeichnen. Was raubt uns heute die Möglichkeit Zeit zu haben? Sind es die neuen Medien, die uns das Leben angeblich so erleichtern? Ich bin wirklich kein Fortschrittsverweigerer, doch bin ich dankbar dafür, selber steuern zu können, wann ich mich in die laute Welt schmeißen möchte und wann ich mir Zeit für den Rückzug schenke. Ob das eine Verkäuferin in einem Geschäft für hippe Bekleidung im dritten Untergeschoß auch kann, wo man sie acht Stunden am Tag mit ca. 86 dB Rave-Rhythmus beschallt, wage ich zu bezweifeln. Wo ist hier der Arbeitsinspektor?

Kommen wir da nicht zu einem Thema, welches das Fundament für so viele Themen ist, die zur Zeit diskutiert werden. Ich meine Zivilcourage. Aufstehen und sagen was man denkt und ein Gegenüber zu wissen, welches dich ernst nimmt oder damit zu rechnen, die Konsequenzen daraus ziehen zu müssen. Wie vehement werde ich mich wehren gegen unzureichende Arbeitsbedingungen, wenn ich den Job brauche wie einen Bissen Brot, da der Kredit für die Wohnung daran gebunden ist. Das weiß nicht nur der Kreditnehmer, sondern auch der Banker und der Chef. Ist das die neue Freiheit, die uns angeblich aus der Sklaverei der Industrie befreit hat? Das Schaffen eines Eigenheims ohne Erbschaft ist für einen jungen Menschen heute nahezu unmöglich. Man begibt sich automatisch in einen Abhängigkeit.
Wenn wir so mit unserer Freiheit umgehen, dann verliert sie den Wert. Genauso, wie der Luxus den Wert verliert, wenn man sichtbar macht, wie und auf wessen Schultern er oftmals zustande kommt. Ist also der neue Luxus eine Vernebelung der Tatsachen, welche uns das wohlige Gefühlt der Geborgenheit vorgaukelt?

So muss jeder seinen Luxus selber definieren. Der Luxus, den ich mir für unsere Gesellschaft wünsche, ist jener, dass wir aufeinander aufpassen. Dass wir unseren Kindern eine schönere Welt hinterlassen als wir sie vorgefunden haben und dass wir der Zeit, die wir mitsammen hier verbringen dürfen, die nötige Bedeutung schenken. Denn der Sekundenzeiger tickt ungebremst und ist unbestechlich. Tick – tack – tick – tack.

Foto/Video: Gary Milano.

Geschrieben von Gery Seidl

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