Im Superwahljahr 2024 analysieren Wissenschaftler:innen von Scientists for Future die Klimapolitik der österreichischen Parlamentsparteien und besuchen die Parteizentralen, um ihre Kritik dort hörbar zu machen. Der erste Besuch galt der ÖVP, wo sich am 4. April beinahe 100 Wissenschaftler:innen versammelten. Reinhart Steurer, Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur, hatte der ÖVP folgendes auszurichten:
Partei des Klima-Rechtspopulismus
Es war einmal eine ÖVP, die sich als staatstragende Partei verstand. Sie setzte sich sogar für hohe Umweltschutzstandards ein, wenn Österreich davon profitierte, wie z.B. beim bei uns vorbildlichen Gewässerschutz. Dem Tourismus sei Dank. Diese ÖVP prägte auch das Konzept der öko-sozialenMarktwirtschaft. Es war die schwarze ÖVP eines Josef Riegler und eines Erhard Busek, hochgehalten bis zuletzt von Othmar Karas im EU-Parlament. Die türkise ÖVP, die im Grunde mit Schüssel begann und von Kurz vollendet wurde, hat damit nichts mehr zu tun. Sie ist längst eine andere Partei, eine Partei des unverantwortlichen Klima-Rechtspopulismus, die die Klimakrise bis heute nicht ernst nimmt, geschweige denn angemessen zu bekämpfen versucht. Für diese Diagnose gibt es eine klare Beweislage in mindestens drei Bereichen.
Strategisch notwendiger Unsinn
Zum ersten hat die ÖVP gemeinsam mit der WKO zu verantworten, dass nur ein Bruchteil der Vereinbarungen im Regierungsprogramm umgesetzt wurden, und das obwohl auch die ÖVP 2019 im Nationalrat den Klimanotstand anerkannt hat. Das hat zur Folge, dass die mit den Grünen im Regierungsprogramm vereinbarte Klimaneutralität 2040 eine Märchenerzählung bleibt.
Zum zweiten ist die Koalition mit der Ansage angetreten, in der EU zu den Klima-Vorreitern gehören zu wollen. Auch diese Vereinbarung wurde von der ÖVP gebrochen, denn sie war gerade in letzter Zeit wiederholt damit beschäftigt, wichtige umweltpolitische Beschlüsse der EU (wie z.B. ein Verbrenner-Aus bis 2035) zu sabotieren.
Zum dritten macht die ÖVP aus dem ohnehin schwierigen, aber unausweichlichen Wertewandel hin zu einem klimafreundlicheren Leben gerade in den Bereichen Mobilität und Ernährung einen spaltenden Kulturkampf. Da wird nicht nur der ungesund hohe Fleischkonsum mit peinlichen Normal-Videos verteidigt, sondern da werden auch dringend nötige Änderungen in allen Lebensbereichen mit Technologie-Nebelgranaten untergraben, die Parteistrategen selbst wohl als SNU, also als Strategisch Notwendigen Unsinn, bezeichnen würden. Dieser Unsinn wird immer dann zelebriert, wenn dringend nötige Regulierungen mit Hinweisen auf Technologieoffenheit, E-Fuels, Wasserstoff oder CO2-Speicherung gegen Grundsätze der Physik verhindert werden. Die elektrische Zukunft des Autos ist längst entschieden, nur ÖVP und FPÖ wollen das noch nicht wahrhaben – sehr zum Leidwesen der heimischen Wettbewerbsfähigkeit.
Dieses Konglomerat an gebrochenen Versprechen und Realitätsverweigerung nennt die ÖVP dann Klimapolitik mit Hausverstand. Ganz nebenbei ist das eine offene Kampfansage an die Wissenschaft. Ich nehme das hier und heute gerne auf und halte dagegen: Was wir dringender denn je brauchen, ist eine Klimapolitik mit Sachverstand statt Hausverstand – aus einem einfachen Grund: Wie wir spätestens seit der Pandemie wissen, ist der Hausverstand bei der Lösung hochkomplexer Probleme ein Trottel. Klimapolitik mit Hausverstand ist wie Pandemiepolitik mit Pferde-Entwurmungsmittel: für viele tödliche Scharlatanerie (in der Klimakrise mit starker Verzögerung, deshalb funktioniert der Schmäh hier besser).
Nehammer-ÖVP ist ein Sicherheitsrisiko für Österreich
Und was sagt der wissenschaftliche Sachverstand zur ÖVP-Klimapolitik mit Hausverstand? Drei Dinge:
Erstens, die ÖVP ist aufgrund ihrer Positionen und ihrer langjährigen Regierungsbeteiligung DIE Partei des Scheinklimaschutzes, des So-tun-als-Ob Klimaschutz wichtig wäre. Sie ist somit DIE Partei der Klima-Heuchelei, charakterisiert durch große Versprechen und gebrochene Ziele. Daran haben wir Scientists for Future am 25.9. erinnert, als wir dem Figl-Denkmal hinter dem Kanzleramt die Augen verbunden haben, damit das Abbild des großen ÖVP-Staatsmannes dieses Trauerspiel nicht länger mit ansehen muss.
Zweitens, wenn eine Partei meint, eine ohnehin schwierige Herausforderung mit Strategisch Notwendigem Unsinn vergiften zu müssen, dann gehört sie nicht in die Regierung, sondern bestenfalls in die Opposition. Wollen wir die Klimakrise in den Griff bekommen, dann braucht es Regierungsmitglieder, die Sachstandsberichte statt Verleugner-Literatur aus dem Trump-Umfeld lesen. Was wir dringender denn je brauchen, sind faktenbasierte Diskussionen bis hin zu den Stammtischen, stattwissenschaftsfeindliches Stammtisch-Geschwätz im Kanzleramt.
Schlussendlich ergibt sich aus all dem, dass nicht nur die Kickl-FPÖ, sondern auch die Nehammer-ÖVP ein Sicherheitsrisiko für Österreich ist. Die Klimapolitik der ÖVP ist ein Sicherheitsrisiko, weil sie nicht nur Sicherheit und Wohlstand, sondern letztlich auch Menschenleben gefährdet. Leider.
Sachverstand statt „Hausverstand“
Das sagt der Sachverstand, der sich traut, die Dinge beim Namen zu nennen. Für eine gelingende Klimapolitik, die ihren eigenen Zielen gerecht wird, brauchen wir dringend eine staatstragende ÖVP im Geiste Leopold Figls, eine ÖVP, für dieKlima-Sachverstand nicht nur ein Objekt der Verhöhnung, sondern das Fundament für eine faktenbasierte Politik ist. Dann würde nämlich auch der Kanzler den einfachsten Grundsatz der Klimapolitik endlich verstehen, der da lautet: Egal, wie klein der Anteil eines Landes an den globalen Emissionen ist, die Klimakrise wird nur kontrollierbar sein, wenn alle Länder ihre im Rahmen des Paris-Abkommens abgegebenen Versprechungen einlösen – allen voran die reichsten Länder der Welt. Würde das gelingen, könnten wir die globale Erhitzung noch auf einem erträglichen Niveau stabilisieren. Mit der gegenwärtigen ÖVP-Klimapolitik brechen wir unsere eigenen Versprechen und gehen sehenden Auges blind in eine Katastrophe.
Natürlich ist eine Klimapolitik mit Sachverstand dann eher möglich, wenn diese von einer großen Mehrheit gerade auch bei Wahlen eingefordert wird. Sofern jemand im Fall einer schweren Krankheit eher zu einer Ärztin als zu einem Wunderheiler geht, wäre es eigentlich nicht zu viel verlangt, Klimapolitik mit Sachverstand statt mit Hausverstand einzufordern. Das Super-Wahljahr 2024 bietet dafür zahlreiche Möglichkeiten.
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