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Bauen mit richtigen Innovationen

Bioreaktor-Fassade von Spittelwerk

Bauen ist zeit-, kosten- und materialintensiv. Die Errichtung, die Erhaltung und der Betrieb von Gebäuden verschlingen eine Unmenge an Ressourcen. Ressourcen, die in der Regel endlich sind. Die Minimierung des Rohstoff- und Energieverbrauchs sowie eine Reduzierung der Umweltauswirkungen stehen im Fokus von bau- und materialtechnischen Innovationen.

Knapp 50 Prozent aller Ressourcen weltweit werden für das Bauen von Gebäuden, Städten und Straßen verbraucht. Bei den mineralischen Rohstoffen sind es sogar rund 80 Prozent, die auf das Konto des Bausektors gehen. Kein anderer Wirtschaftszweig verzeichnet einen vergleichbar hohen Konsum an Rohstoffen. Dazu kommt die Erhaltung bzw. der Betrieb von Gebäuden. So entfallen rund 40 Prozent des Energieverbrauchs in der Europäischen Union alleine auf den Gebäudesektor, mit allen negativen, umweltschädlichen Auswirkungen, wie beispielsweise die Erhöhung der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre, die als Hauptverursacher des Klimawandels gilt. Verstärkt werden diese Folgen durch den fortschreitenden Landverbrauch im Zuge der Bautätigkeiten. Alleine in der EU werden jährlich rund drei Prozent der verfügbaren Flächen verbaut. Und am Ende des Lebenszyklus stehen der Abbruch bzw. die Demontage eines Gebäudes, die knapp die Hälfte aller anfallenden Abfallmengen weltweit verursachen.

Vor diesem Hintergrund sind Bauinnovationen nicht nur ein zusätzliches verkaufsförderndes Argument, sondern ein Schlüssel zu einer nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweise. Zahlreiche heimische Architekten und Baustoffhersteller haben diese Herausforderung angenommen und tüfteln darüber, wie man den Energieverbrauch in Gebäuden senken, den Einsatz von nachwachsenden Ressourcen fördern und den CO2-Ausstoß verringern kann.
Um den ökologischen Fußabdruck beim Bauen zu verringern, sind vor allem Kreativität und Innovationsgeist gefragt. Zu den Ergebnissen der Forschungs- und Entwicklungsarbeit zählen neue Gebäudekonzepte wie Niedrigenergie-, Passiv- oder Plusenergiegebäude ebenso wie ein nachhaltiges Produktdesign auf Basis intelligenter Materialien bzw. unter Einbeziehung nachwachsender Rohstoffe. Recycling und Abfallvermeidung oder die Erhöhung der Langlebigkeit bzw. Reparaturfähigkeit von Produkten sind ein weiterer Aspekt dieser Entwicklung – ebenso wie Produkte, die mitunter „lediglich“ den gestalterischen Spieltrieb von Architekten und Bauherren beflügeln.

Fassade als Bioreaktor

Bioreaktorfassade von Splitterwerk: In jedem der insgesamt 129 Glaselemente werden Algen gezüchtet, die zu Biogas vergoren werden.
Bioreaktorfassade von Splitterwerk: In jedem der insgesamt 129 Glaselemente werden Algen gezüchtet, die zu Biogas vergoren werden.

Intelligenten Baustoffen mit Zukunft hat sich auch die Internationale Bauausstellung (IBA) in Hamburg verschrieben. Im vergangenen Jahr machte beispielsweise das Team von Splitterwerk, Grazer Label für Bildende Kunst und Ingenieurwesen, mit seinem weltweit ersten Gebäude mit Bioreaktorfassade von sich reden. Bei konventionellen Gebäuden sind Algen an der Fassade ein unerwünschter Schönheitsmakel – nicht so beim BIQ (Titelbild). Mit seiner Algenfassade ist das grüne Haus ein Highlight der internationalen Bauausstellung. Insgesamt 129 Glassegmente sind wie kleine Aquarien als zweite Hülle der Südwest- und Südostfassade des fünfgeschoßigen Gebäudes vorgelagert. Darin werden Mikroalgen gezüchtet, die zur Energieerzeugung genutzt werden und dafür sorgen, dass sich das Gebäude autark mit Energie versorgen kann. Dafür müssen die Algen nur wachsen. Über einen getrennten Wasserkreislauf werden sie deshalb mit Nährstoffen und Kohlendioxid aus der Biogasheizung versorgt. Dank der Sonneneinstrahlung läuft die Fotosynthese ab, die für ein reges Wachstum sorgt. So lange, bis die Algen geerntet, in einer externen Biogasanlage vergoren und zu Biogas umgewandelt werden. Zusätzlich dienen die Glassegmente wie eine Solaranlage auch für die Warmwasseraufbereitung bzw. als Heizungsunterstützung. Wärmeüberschüsse werden mithilfe von 80 Meter tiefen Erdwärmesonden zwischengespeichert. Das zukunftsträchtige Fassadenkonzept führt Solarthermie, Geothermie, einen biogasbetriebenen Brennwertkessel, Nahwärme und die Gewinnung von Biomasse in einem Kreislauf zusammen. Dass die gesamte regenerative Energieproduktion sichtbar an der Außenhülle abläuft, ist ein durchaus gewünschter Effekt des architektonischen Konzepts.

Bauen mit Selbstreinigungseffekt

Mit Algen, Pilzen und Bakterien beschäftigt sich auch der Bauproduktehersteller Baumit, mit dem entscheidenden Unterschied, dass diese im Fall von Nanopor photokat – der diesjährigen Produktinnovation von Baumit – von der Fassade entfernt werden.
Vor 15 Jahren startete das oberösterreichische Unternehmen seine Innovationsoffensive und hat sich dabei zum Ziel gesetzt, jedes Jahr mit einer Weiterentwicklung bestehender Produkte bzw. einer Produktinnovation aufzuwarten. Und der Erfolg kann sich sehen lassen: „Mittlerweile erzielen wir rund 25 Prozent unseres Umsatzes mit neuen, innovativen Produkten“, bestätigt Robert Schmid, Geschäftsführer der Baumit Beteiligungen GmbH.
Nanopor photokat ist eine Weiterentwicklung des Nanopor-Putzes, der bereits vor sieben Jahren entwickelt wurde und heute europaweit rund zehn Millionen Quadratmeter Fassaden vor Verschmutzung schützt. „Jetzt haben unsere Baustoffexperten den Nanopor-Putz weiter verbessert, hinzu kommt nun der Photokat-Effekt“, erklärt Georg Bursik, Geschäftsführer der Wopfinger Baustoffindustrie GmbH. Über Sonnenlicht wird dabei ein Photokatalysator, konkret Titandioxid, aktiviert. Dieser reagiert mit Wasser und Sauerstoff und zersetzt an der Oberfläche haftende Schmutzpartikel, Algen, Pilze oder Bakterien. Wind und Regen erledigen den Rest und entfernen die Zersetzungsreste von der Fassade. Dank dieses Selbstreinigungs­effekts bleibt die Fassade dauerhaft sauber, Erhaltungs- und Sanierungskosten können so auf ein Minimum reduziert werden. „Erwähnenswert ist auch, dass Nanopor photokat der erste zu 100 Prozent biozidfreie Außenputz am Markt ist“, so Bursik weiter.

Sauberer Sichtbeton

Den gleichen Effekt wie die Putzfassade macht sich auch die Betonindustrie bei der Herstellung von Sichtbetonoberflächen zunutze. Durch den Zusatz von Titandioxid wird der Beton weiß und bleibt es auch auf lange Sicht. „Die ästhetischen Eigenschaften von Fassaden können so über lange Zeiträume erhalten bleiben. Darüber hinaus werden bei der Photokatalyse Umweltgifte wie Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid in großen Mengen abgebaut. Es entsteht weniger Ozon, die Belastungen für den Menschen – vor allem an heißen Tagen – verringern sich signifikant“, heißt es vonseiten des Vereins Betonmarketing Österreich, womit der rein optische Effekt um einen positiven Umweltfaktor erweitert wird.

Innovationsfreudig & massiv bauen

Die Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten der Betonindustrie kratzen aber nicht nur an der Oberfläche. Zeitgemäße Betonbauwerke nutzen das Speichervermögen des massiven Baustoffs für die Heizung bzw. Kühlung von Gebäuden. Dazu werden wasserführende Rohre in die Betonbauteile mit eingegossen. „Betondecken bzw. Bodenplatten können damit ähnlich wie Heizkörper eingesetzt werden“, erklärt Felix Friembichler, Geschäftsführer der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ). „Sämtliche Betonbauteile fungieren dabei als Akku. Sie speichern die Sonneneinstrahlung oder Umgebungswärme und geben diese bei Bedarf langsam wieder ab“, so Friembichler weiter. Durch die gezielte Nutzung der besonderen Wärmespeicherfähigkeit kann beispielsweise eine bauteilaktivierte Decke je nach Bedarf sowohl als Heiz- wie auch als Kühlelement genutzt werden. Jüngstes Projekt, das mit einer Bauteilaktivierung ausgestattet wurde, ist das kürzlich eröffnete Gemeindezentrum im Salzburger Hallwang. „Trotz Temperaturen von minus zwölf Grad wurde keine einzige Kilowattstunde zur Heizung des Gebäudes eingesetzt“, zeigt sich Gemeindebundpräsident Helmut Mödlhammer von der Gebäudetechnik überzeugt.

Luftig leichte Betonskulpturen

Ultra High Performance Beton bringt ungeahnte Möglichkeiten der architektonischen Gestaltung.
Ultra High Performance Beton bringt ungeahnte Möglichkeiten der architektonischen Gestaltung.

Generell scheint Beton ein Baustoff mit noch erheblichem Innovationspotenzial zu sein, wie ein aktuelles Forschungsprojekt an der Technischen Universität Wien demonstriert. In einer gemeinsamen Forschungskooperation haben die Fakultät für Architektur und die Fakultät für Bauingenieurwesen eine neuartige Betonrezeptur entwickelt, die es möglich macht, Luftpölster mit einer dünnen Betonschicht zu überziehen. Damit eröffnen sich völlig neue architektonische Gestaltungsmöglichkeiten. Statt massiver Betonklötze können nun luftig leichte Konstruktionen produziert werden. „Entscheidend ist die genaue Zusammensetzung des Spritzbetons, er muss eine gute Pump- und Spritzfähigkeit aufweisen“, erklärt Johannes Krinbauer vom Institut für Hochbau an der TU Wien. Die Festigkeit dieses „Ultra High Performance Concrete“ ist rund dreimal höher als die von gewöhnlichem Beton und kommt fast an die Festigkeit von Stahl heran, und das trotz einer Schichtdicke von nur eineinhalb bis vier Millimetern. Noch bleibt abzuwarten, wie und in welcher Form diese neue Betontechnik in Gebäuden Verwendung finden wird.

Wärmedämmung inklusive

Wesentlich konkreter sind dagegen die Einsatzbereiche eines anderen Massivbaustoffs, der bereits seit Jahrtausenden als Baumaterial Anwendung findet. Dabei hat die jüngste Generation von Ziegeln kaum noch etwas gemeinsam mit ihren historischen Vorgängern. So werden die Lagerfugen des Porotherm Planziegels von Wienerberger computergesteuert beidseitig auf den Millimeter genau plan geschliffen. Mit dem Dryfix-System können die Ziegel trocken mit einem speziellen Kleber versetzt werden. Dadurch werden nicht nur Tausende Liter Wasser eingespart, sondern auch der Baufortschritt wird wesentlich beschleunigt. Darüber hinaus erlaubt das System auch im Winter eine Verarbeitung bis zu einer Temperatur von minus fünf Grad.
Eine Weiterentwicklung des Planziegels ist der Porotherm W.i. Das Kürzel W.i. steht für Wärmedämmung inklusive, was bedeutet, dass die Wärmedämmung in Form von Mineralwolle bereits in den Hohlkammern des Ziegels integriert ist. Damit kann man Gebäude mit einschaligen Ziegelwänden bei einer Wandstärke von 38 bis 50 Zentimetern ohne zusätzliche Wärmedämmung bauen. Bei Wanddicken zwischen 20 und 30 Zentimetern kann die außen liegende Dämmschicht deutlich reduziert werden. Das ermöglicht wertvolle Gewinne in Bezug auf die Wohnnutzfläche. Darüber hinaus ist die Wärmedämmung bereits bei unverputzter Fassade gegeben. „Moderne Baustoffe sind ökologisch und energiesparend – der Porotherm W.i. ist eine weitere Lösung, mit der wir diesen Anforderungen optimal entgegenkommen. Die im Ziegel eingebetteten Mineralwolle-Stecklinge erlauben deutlich schlankere, hochwärmegedämmte Massivbauwände“, erklärt Christian Weinhapl, Geschäftsführer der Wienerberger Ziegelindustrie GmbH.

Bauen mit Holz und Stroh

Das s-house in Böheimkirchen in Niederösterreich zeigt als Demonstrationsgebäude die Anwendung nachwachsender Rohstoffe im energieeffizienten Bauen.
Das s-house in Böheimkirchen in Niederösterreich zeigt als Demonstrationsgebäude die Anwendung nachwachsender Rohstoffe im energieeffizienten Bauen.

Dass innovatives Bauen nicht ausschließlich an die Entwicklung von Hightech-Materialien gekoppelt ist, zeigt ein Demonstrationsgebäude, das bereits vor knapp zehn Jahren errichtet wurde. Das s-house im niederösterreichischen Böheimkirchen ist ein Informationszentrum und Ausstellungsgebäude für nachwachsende Rohstoffe. Das „s“ steht dabei nicht für Stroh, wie man annehmen könnte, sondern für „sustainable“ – sprich Nachhaltigkeit. Für die Planung zeichnet das Team der Salzburger Scheicher Architekten verantwortlich, die das Gebäude als Passivhaus mit Strohballendämmung zwischen einer tragenden Holzständerkonstruktion entwickelten.
Am Gebäude wird die Funktionalität von Baustoffen aus nachwachsenden Rohstoffen demonstriert. Wie zum Beispiel der konstruktive Holzbau. Holz ist nicht nur ein Rohstoff, der in ausreichender Menge nachwächst, sondern gleichzeitig auch als CO2-Lagerstätte gilt und somit gleich mehrfach ein innovatives und nachhaltiges Baumaterial.
Neben den Strohballenwänden sind auch Wandaufbauten mit anderen alternativen Dämmstoffen – wie zum Beispiel Hanf, Flachs, Schafwolle oder Zellulose – eingebaut. Zudem werden unterschiedliche ökologische Oberflächenmaterialien – zum Beispiel Putz, Holzverschalungen oder Textilien – gezeigt und verschiedene natürliche Oberflächenbehandlungsmittel wie etwa Lack, Wachs und Lasuren angewandt. Die Dauerausstellung zeigt nicht nur den Weg vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt, sondern stellt den Besuchern auch die direkte Anwendung von biogenen Baustoffen dar.

Foto/Video: IBA Hamburg GmbH/Johannes Arlt, IBA Hamburg/Johannes Arlt, S-House.

Geschrieben von Tom Cervinka

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