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Klima: Regierungsprogramm und Realität. Richterin Theuer analysiert | S4F

Im Superwahljahr 2024analysieren Wissenschaftler:innen von Scientists for Future die Klimapolitik der österreichischen Parlamentsparteien und besuchen die Parteizentralen, um ihre Kritik dort hörbar zu machen. Der erste Besuch galt der ÖVP, wo sich am 4. April beinahe 100 Wissenschaftler:innen versammelten. Leonore Theuer, Richterin und Mitarbeiterin der Fachgruppe Politik und Recht bei Scientists vor Future konfrontierte das Programm zum Klimaschutz, mit dem die derzeitige Regierung angetreten ist, mit der Realität:

„Das beste aus beiden Welten“ lautete zu Beginn das Motto der Zusammenarbeit zwischen damals noch Türkis und Grün. Beim Klimaschutz versprach das Regierungsprogramm 2020 bis 2024 eine echte Trendwende: Klimaneutralität in Österreich bis 2040. Österreich als Klimaschutzvorreiter! Doch wie sieht die Realität nach vier Jahren aus?

Treibhausgasreduktion

Das Regierungsprogramm sieht Klimaneutralität in Österreich bis 2040 vor. Der Knick bei den Treibhausgas-Emissionen 2020 ist auf Corona zurückzuführen, und dass Österreich 2022 und 2023 recht gut auf Kurs lag, nur zu einem geringen Teil auf die Verwirklichung von Gesetzesvorhaben.

Verfassung

Entgegen dem Plan wurde kein zeitgemäßer Kompetenzrahmen für die Zuständigkeiten von Bund und Ländern ausgearbeitet. Notwendig wären strukturellen Veränderungen, wie eine Bedarfskompetenz des Bundes für Klimaschutz, damit einheitliche Regelungen geschaffen werden können.

Menschen- und Kinderrechte: Es erfolgte keine Stärkung. Bei den Kinderrechten hätte der General Comment Nr. 26 der UN-Kinderrechtskonvention Anlass geboten, die ökologischen Kinderrechte in Österreich zu stärken und den Zugang zum Recht (Rechtsschutz) zu verbessern.

Klimaschutz und Energie

Als Ziel legten die Regierungsparteien fest, bis 2030 Strom zu 100 % (national bilanziell) aus erneuerbaren Energiequellen zu erzeugen, mit klaren Ausbauzielen für alle Technologien. Erneuerbarenausbaugesetz wurde 2021 erlassen. Jedoch erfolgt der Umstieg zu langsam. Auch Raumordnung, Mietrecht, Baurecht müssten umgestaltet werden. Der Ausbau der Windkraft stagniert.

Die Erarbeitung eines neuen Klimaschutzgesetzes mit verbindlichen Emissionsreduktionspfaden wurde nicht verwirklicht! Die Emissionsreduktionspfade des alten Klimaschutzgesetzes sind bereits 2020 ausgelaufen.

Verpflichtender und unabhängiger Klimacheck für alle neuen und bestehenden Gesetze wurde nicht verwirklicht

Aus dem Phase-out aus fossilen Energieträgern in der Raumwärme ab 2020 und einer Wärmestrategie zur vollständigen Dekarbonisierung des Wärmemarktes wurde nur Verbot des Einbaus von Gas- und Ölheizungen in Neubauten. Es gibt Förderungen für den Umstieg, aber keine Verbindlichkeit.

Eine Million Dächer sollten mit Photovoltaik ausgestattet werden. Demnach müsste bis 2030 fasst jedes zweite Dach der 2,4 Millionen Gebäude in Österreich eine PV-Anlage haben. Der tatsächliche Ausbau ist jedoch viel geringer, PV-Strom macht in Österreich trotz Steigerung nur ca. 5 % aus.

Ökosoziale Steuerreform

Die CO2-Bepreisung samt Klimabonus wurde verwirklicht. Sie beträgt derzeit 45 Euro pro Tonne. Zum Vergleich: In der Schweiz, in Schweden und in Liechtenstein beträgt die CO2-Steuer jeweils über 100 Euro. Doch die tatsächlichen Schäden sind immer noch weitaus höher: Pro Tonne CO2 rechnet zum Beispiel das deutsche Umweltbundesamt mit Beträgen von bis zu 800 Euro, die an volkswirtschaftlichen Kosten durch die Klimaerhitzung entstehen.

Flugticketabgabe: Eine einheitliche Regelung von 12 Euro pro Flugticket wurde verwirklicht.

Die Ökologisierung und Erhöhung der Treffsicherheit des Pendlerpauschales war geplant. Das Gegenteil ist passiert. Das Pauschale wurde von Mai 2022 bis Juni 2023 um 50 % erhöht, hohe Einkommen werden bevorzugt, ökologische Anreize fehlen. Laut Berechnungen des WIFO aus dem Jahr 2021 erhielt das niedrigste Einkommensviertel nur drei Prozent des steuerlich wirksamen Pendlerpauschale-Kuchens, während das höchste Einkommensviertel ein rund zwölfmal so großes Stück erhielt.

Bildung

Das Regierungsprogramm forderte, Lehrpläne zu modernisieren, besonders in Hinblick auf Klimawandel und ökologisch verantwortungsbewusstes Handeln. Tatsächlich wurde Umweltbildung stärker in den Lehrplänen verankert. Wie die Umsetzung in der Praxis aussieht, wird sich zeigen.

Verkehr und Infrastrukur

Der Verkehrssektor verursacht rund 28 % der Treibhausgas-Emissionen. Das Klimaticket wurde verwirklicht! Dennoch bleibt das Problem, dass die Emissionen gegenüber 1990 um fast 50 Prozent gestiegen sind und die Verlagerung auf Öffentlichen Verkehr, Shared Mobility und Elektrifizierung viel zu langsam voranschreitet.

Bodenverbrauch

Bereits 2002 (kein Tippfehler!) sollte der Verbrauch auf 2,5 ha pro Tag begrenzt werden. Das Regierungsprogramm von 2020 hat als Ziel immer noch eine Reduktion auf 2,5 ha pro Tag bis 2030. Derzeit sind es jedoch mehr als 11 ha pro Tag! Tendenz steigend statt fallend. Eine bundeseinheitliche Bodenschutzstrategie ist gescheitert.

VP stellt sich gegen verbindliche Regeln und Verbesserung des Rechtsschutzes

Zusammengefasst zeigt sich bei der ÖVP eine Tendenz gegen verbindliche Regelungen und gegen eine Verbesserung des Rechtsschutzes (Klagemöglichkeit). Klimaschutz darf zwar finanziell gefördert werden, soll aber möglichst ohne Verbote auskommen. Damit erscheinen jedoch die notwendigen rechtlichen Änderungen in Richtung Treibhausgas-Neutralität nicht möglich.

Das Regierungsprogramm versprach unsere Rechtsordnung klimafit zu machen. Nur ein geringer Teil wurde verwirklicht.

Um der Erderhitzung entgegenzuwirken müssen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Auch dafür sind die kommenden Wahlen entscheidend!

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